Ballenstedt, 15.03.2019

B: Was willst Du denn nun wissen?

I: Warum bist du Kriminalist geworden oder Kriminologe?

B: Kriminologe bin ich nicht, ich bin ein Kriminalist.

I: Was ist denn der Unterschied?

B: Der Kriminologe untersucht das Verbrechen wissenschaftlich. Und wir klären das auf und ermitteln die Straftaten.

I: Aber du hast ja auch studiert, oder?

B: Ich habe studiert, Kriminalistik. Und in der Kriminalistik, ist mit enthalten Strafrecht, Strafprozessrecht, Kriminaldidaktik, auch Psychologie und Kriminaltechnik, ja, und die normale Ermittlungstätigkeit.

I: Wieso wolltest Du den Beruf erlernen?

B: Wieso?

I: Oder hat sich das ergeben?

B: Ich wollte das eigentlich schon immer. Ich war erst Polizist an der Polizeischule, in Aschersleben. Früher war ich bei der Armee. Dort bin ich auch Offizier geworden.

I: Aber was heißt das, bei der Polizeischule? Das war dann eine Ausbildung?

B: Nein, ich war ja bei der Armee, naja, ich war dort Techniker, Panzertechniker. Und da habe ich an der Polizeischule die Kraftfahrzeuge, Abteilung Kraftfahrzeuge, unter meiner Regie gehabt. Und dann bin ich, nach drei, vier Jahren, an die Polizeischule, das war so 1960/61. Danach habe ich mich versetzen lassen und bin dann ein Kriminalist geworden.

I: Und das war wo?

B: In Aschersleben.

I: Wie lange hat die Ausbildung dann da gedauert?

B: Eine Ausbildung? Ich bin gleich eingesetzt worden als Kriminalist.

I: Ach so, direkt von der Polizeischule?

B: Ich habe erstmal alle Abteilungen durchlaufen in dem, was dazu gehört. Und dann habe ich die Ermittlungstätigkeit gleich mit aufgenommen. Und habe später angefangen zu studieren.

I: Wann war das?

B: Das war später, 1965 bis 1970, habe ich studiert. Ich war aber schon Offizier der Kriminalpolizei.

I: Du wolltest studieren, oder hat man dir das nahegelegt?

B: Da sind Stellen frei geworden und da haben sie mich gefragt und ich habe zugesagt. Wollte das sowieso, weil du weiterkommst. Und dann habe ich die Kriminalistik studiert.

Ein Vierteljahr waren wir in der Schule und dann haben wir ein Vierteljahr in der Praxis gearbeitet. Wir waren bei Vorlesungen und haben Aufgaben gekriegt. Das Komplizierte an der ganzen Geschichte war ja, das Studium, das wir bis 1967 nach den BGB, nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch, was auch jetzt noch in der Bundesrepublik gilt, haben wir ja unser Studium gehabt. Und 1967 kam dann das neue Strafgesetzbuch der DDR. Ich wollte dir das eigentlich noch zeigen.

I: Das war ja relativ spät.

B: Bitte?

I: Was ja spät ist. Also 1961 wurde die Mauer gebaut. Und DDR hat ja schon vorher existiert. Wieso kam das so spät, weißt du das?

B: Das weiß ich nicht. Das war ein Beschluss. Da war der 7. Parteitag, glaube ich, und da ist das beschlossen worden. Und somit hatten wir ein neues Strafprozessrecht und ein neues Strafgesetzbuch. Im Wesentlichen waren die Paragraphen nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch fast gleich. Auch was zum Beispiel Diebstahl 249 oder 212, Mord und ganzen Paragraphen anging, das war eigentlich alles so geblieben, bloß anders.

I: Sozialistisch-kommunistisch geprägt?

B: Nein, eigentlich nicht. Aber eben mehr ausführlich. Wir haben zum Beispiel, bei einer Straftat die untersucht wurde und der Täter bekannt war und vernommen wurde, besonderen Wert auf die subjektive Seite gelegt. Warum, weshalb und so weiter. Die objektive Seite kam auch entsprechend zur Geltung, musste auch.

I: Warum denkst du, wurde der Fokus auf die subjektive Seite gelegt?

B: Naja, in der DDR, war doch das Menschliche im Vordergrund. Es gab in der DDR keine Arbeitslosen und Arbeitslosengeld und sowas, gab es ja alles nicht. Sondern es waren ja genug Arbeitsplätze da. Und die, die nicht arbeiten wollten, naja, da hat sich das Inneres darum gekümmert und haben sie zur Arbeit gebracht. Die waren eben sehr, sehr human und die subjektive Seite war eben besonders im Vordergrund. Es sollte ja im Sozialismus keine Straftaten geben. Aber es gab ja auch genug allgemeine Kriminalität, die Diebstähle und Betrug und Schwindelei.

Ich arbeitete im Kommissariat eins. Wir waren vollkommen zuständig für schwere Kriminalität. Mord und schwere Kriminalität. Und ja, unbekannte. Wir hatten eine gute Latenz.

I: Was ist Latenz?

B: Naja, Straftaten, die nicht zur Anzeige kamen, aber existierten, nicht? Das war vorwiegend in der Industrie und Wirtschaft.

I: Wie viele Delikte gab es da?

B: Genügend. Viele eben in den Gaststätten, die dann eben keine Steuern gezahlt haben und immer betrogen haben. War ja alles kaum noch privat. Da gab es eben auch eine ganze Menge Latenz und die haben wir auch mitbearbeitet. Das war eben Kommissariat 1. Wir haben mit besonderen Methoden gearbeitet. Wir hatten Informanten. Wir waren berechtigt dazu, mit Informanten zu arbeiten.

I: Und was sind das für Informanten gewesen?

B: Naja, das waren Leute in der Szene drinnen, wo wir sie brauchten, wie das heute immer noch so ist. Heute ist das bloß ein bisschen anders. Es gab da schon einige, gute Erfahrungen mit den Informanten. Das war nicht so wie beim MFS. Das war eben nur Dreck dort.

I: Und wie konntet ihr die Informanten für euch gewinnen?

B: Da gab es viele Methoden, ja. Das kann man ja auch nicht so sagen. Das ist gar nicht so einfach. (Lachen)

I: Zum Beispiel?

B: Nein, das sage ich dann nicht. Das ist auch ein bisschen ein Geheimnis.

Zaubertricks

B: Naja, die Methoden sind heute auch noch genauso, bloss ein bißchen anders. Nicht fast gleich, aber ähnlich. Da gab es gute Beispiele dafür. Zum Beispiel ein Brennpunkt war, sagen wir mal Einbrüche. Hatten wir einmal, da waren ungefähr so bestimmt 15 Einbrüche in Verkaufsstellen. Nicht bloß in der Stadt, sondern auch im Umfeld, also auf dem Land, in den Ortschaften ringsum. Naja, und das war unsere Aufgabe. Also den Brennpunkt hatte die K-3 zum Bearbeiten und die K-1, wo ich war, hatte die Federführung. Die hat das dann übernommen. Und die haben dann mit unseren Mitteln und Methoden, mit diesen Informanten, auch gearbeitet. Und ein Informant, der war gut, sehr gut. Das war so ein halber Beatles. Und der hat mir die Information gegeben, der und der macht die Einbrüche, usw. Er hat dann zum Beispiel uns einen Namen von einem befreundeten Mann gegeben.

Dieser hat mit seiner Mutter in einem Einfamilienhaus gewohnt. Die hatte keinen Mann. Der war im Krieg gefallen. War Pilot. Er hatte eine Pistole von seinem Vater noch. Und er machte auch Schießübungen. Und das war alles ein bisschen sehr kompliziert. Der Informant hatte uns gesagt, die Zigaretten, die hat er Zuhause in den Sessel versteckt. Und unter der Treppe, unter den Treppenstufen, da liegen auch die Zigaretten. Und im Schuppen liegt der ganze Schnaps und alles. Der wusste genau, wo die Verstecke sind. Wir konnten da nicht einfach hinrennen und sagen „Hausdurchsuchung.“. Dann wäre der Informant, wäre der aufgeflogen. Denn er war der einzige, der darüber bescheid wusste. Ja, wie sollten wir das nun machen? Es war dann die operative Seite der Kriminalistik, die größte Arbeit, die operative Seite. Wir haben dann einen Operativplan dazu gemacht. Ich habe mich oben an der Schule mit dem Dozenten, der die Kriminaltechnik gemacht hat, der hieß auch Müller, (Lachen) mit dem habe ich mich in Verbindung gesetzt und wir haben dann was ausgetüftelt. Er hatte uns dann eine Sonde mitgegeben. So eine Sonde, mit Kopfhörer und so einem Mikrofon.

I: Ja und was hast du dann gemacht?

B: Wir hatten die Sonde und zwei uranhaltige Stückchen. Und ich bin mit meinem stellvertretenden Kollegen los. Es war glaube ich im Frühjahr, da war es noch nicht ganz so warm. Er hatte dann ein Stück in die Manteltasche gesteckt und ein Stück hat er vorne in den Schuh reingesteckt, in der Fußspitze. Und dann haben wir mit unserem jungen Staatsanwalt gesprochen. Wir brauchten ja eine Hausdurchsuchung. Wenn das Staatsanwalt nicht dabei war, mussten wir einen Durchsuchungsbeschluss erhalten. Und wenn der Staatsanwalt dabei ist, konnten wir die Hausdurchsuchung ohne den Beschluss machen. Wir haben mit dem Staatsanwalt gesprochen, haben wir nicht gesagt, um was es geht. Haben nur gesagt „Komm mit.“. Naja, jedenfalls sind wir dann vorgefahren, mit dem Staatsanwalt und noch zwei Schutzpolizisten haben wir mitgenommen und wir zwei. Ich hatte die Kopfhörer und der Staatsanwalt hat sich ausgewiesen, Hausdurchsuchung. Und dann habe ich den Kopfhörer aufgesetzt und die Sonde genommen. Und der Staatsanwalt wusste ja nun auch nicht, was los war. Der war ungefähr, wie alt war denn der, ich schätze 20 Jahre, vielleicht. Und ich habe dann mit der Sonde erstmal irgendwo rumgemacht, weißt Du.

I: Was sollte das andeuten mit der Sonde?

B: Die Sonde, naja, die Sonde, das muss ich dir noch zu Ende erzählen, die sollte andeuten, dass wir irgendwas suchen. Und da war ja nichts an den Stellen und so. Und dann hat mein Kollege sich dann neben den Sessel gestellt und ich habe dann die Sonde an seiner Tasche vorbei bewegt und mit einem Mal ging es los. (macht Geräusch nach)

I: Ah, weil ihr das Uran da drin hattet.

B: Ja, ganz doll. So und dann haben wir die ersten Zigaretten rausgeholt, weißt Du?

I: Ihr habt im Prinzip simuliert, dass da ein Sound wegen den Zigaretten kommt, obwohl Zigaretten gar keinen Sound machen.

B: Jaja. Und dann ist er los und hat den Fuß auf die Treppe gestellt. Und ich bin dann bei der Treppe vorbei und dann ging das auch wieder los. Und dann haben wir in den Treppenstufen, die waren nicht festgenagelt, die nahmen wir hoch und da lag dann auch eine Schachtel nach der anderen. Und dann hat er gesagt „Ja, hört jetzt auf. Im Schuppen liegt das andere Gelumpe.“. Da hat er Schiss gekriegt, weißt Du? Naja, und dann haben wir das alles sichergestellt. Die Schutzpolizei haben ihn mitgenommen zum Revier und dann haben wir die Vernehmung gemacht. Und unser Informant, der war nun raus. Ja, der war ja nun raus.

I: Den konnte er nicht verdächtigen.

B: Der hat das auch nie.

I: Aber hat er nicht irgendwie nachgefragt, warum bei ihm ausgerechnet eine Hausdurchsuchung stattfindet? War das nicht verdächtig?

B: Naja, er war schon bekannt.

B: Er war belastet. Der war vorbestraft. Und in der Ermittlungstätigkeit hat sich das so eben ergeben. Ja, jetzt haben wir ihn auf dem Revier gehabt. Ja, der hat dann eine Verkaufsstelle zugegeben. Hat gesagt „Da bin ich eingebrochen, mehr nicht.“. Aber da waren ja ein Haufen Einbrüche. Wie kriegen wir hin jetzt?

I: Dass er die anderen auch zugibt?

B: Ja. Da habe ich gesagt, wir machen folgendes. Wir haben eine Liste gemacht, die ganzen Verkaufsstellen draufgeschrieben. Eins, zwei, drei, vier, fünf, die durchnummeriert. Und auf einige Schnapsflaschen und auf einige Zigarettenflaschen haben wir mit einem fluoreszierenden Stift eins, oder zwei, drei, draufgeschrieben. Dann haben wir das hingelegt, haben die UV-Lampe genommen und dann haben wir das beleuchtet. Der wusste ja nicht, dass wir das vorher draufgemacht haben.

I: Und dann kamen die Zahlen.

B: Und dann kamen die Zahlen. Dann haben wir gesagt, schau mal da warst du. Und da warst du auch. Ja, ja. Und dann hat er nachher alles zugegeben.

I: Aber das ist ja wahrscheinlich illegal gewesen auch, oder? Das durfte man ja wahrscheinlich gar nicht so machen.

B: Na, doch. Na klar, um die Aufklärung zu machen, konnte man ja die Kriminaldidaktik so anwenden.

Genau wie andere Dinge, wie, wenn ich ein Weg-Zeit-Diagramm gemacht habe, war das auch so ähnlich. So haben wir die Straftaten aufgeklärt. Da gab eine ganze Menge, unaufgeklärter Straftaten.

I: Das sind ja richtige Tricks sozusagen, die da angewendet wurden.

B: Jaja. Ich hatte zwei, drei gute Informanten, die haben mir viel geholfen. Vieles gemacht, ja. Das war eins von den schönen, lustigen Dingen. Das habe ich gemacht bis 1974 im Kommissariat-1.

I: Und dann hast du gewechselt?

B: Naja, dann war mein Studium zu Ende. Wir mussten uns dann auch entscheiden beim Studium, nach drei Jahren mussten wir uns entscheiden, in welche Richtung wir weiter studieren wollen. Da gab es natürlich auch noch die neuen Gesetze, LPG-Gesetz und Handwerker-Gesetz und was nicht alles. Und die allgemeine Kriminalität und besonders schwere Kriminalität, Kapitalverbrechen. Also da hieß das ja nicht Tötungsdelikte.

I: Und für was hast Du dich dann entschieden?

B: Ich hatte mich für die Tötungsdelikte entschieden. Wir hatten damals Glück, da war der Professor Prokop, bei dem haben wir die ganzen Vorlesungen gehabt in Berlin, an der Humboldt.

I: Professor Otto Prokop?

B: Ja, das war der führende Gerichtsmediziner der DDR. Und er war ein Österreicher und war in Europa bekannt. Den kennen sie heute noch. Ja, und da habe ich mich dann da entschieden. Und danach bin ich wieder zurück.

I: Hast Du in Berlin gewohnt während deines Studiums?

B: Nein. Ein Vierteljahr waren wir in Berlin. Da haben wir im Gästehaus, des Ministerium des Inneren übernachtet. Und dann waren wir ein Viertel oder ein halbes Jahr wieder auf Arbeit. Ich in Aschersleben. Haben unsere Arbeiten mitgekriegt, was wir aufarbeiten mussten. Und so war unser Studium programmiert gewesen. Ja und war ich die letzten zwei Jahre K-Leiter in Aschersleben.

I: Was heißt K-Leiter?

B: Naja, Leiter der ganzen Abteilung der Kriminalisten. Aber ich habe die Führung von der K-1 nicht abgegeben und habe die noch weiter gemacht, nebenbei. Mir lag das eben sehr am Herzen. Das hatte immer gut geklappt. 18 Kriminalisten waren wir. Ja und dann hat sich das ergeben, dass ich nach Halle kommen soll. Dann bin ich nach Halle, zur Bezirksbehörde der Volkspolizei in Halle, die für den ganzen Bezirk Halle verantwortlich war. Und ich war dann auch im Dezernat, Dezernat-1, aber zuständig mit in der Mordkommission.

In Halle gab es ja einmal die MUK, wo ein fester Bestand war und eine Brandkommission. Die hatte auch einen festen Bestand. Die sind nbei allen Bränden ausgerückt. Also, nicht bei so einem kleinen. Aber bei allen großen.

I: Was heißt festen Stand?

B: Das waren feste Leute, die nur dafür verantwortlich waren. Und das war ja so, dass bei Tötungsdelikten eben, in den Kreisen war immer ein Kriminalist, der auch eine besondere Schulung, nicht so wie wir das hatten, sondern eine besondere Schulung hatte. Um den ersten Angriff bei einer Tötung, ob das ein Suizid war oder anders, das wussten wir ja nicht, zu erkennen. Und das war ja immer so, wenn es einen Toten gab, musste der Arzt, entweder ein Dienst habender Arzt, der, wenn am Sonntag das war, oder außerhalb der Sprechzeiten, oder vom Krankenhaus, oder irgendein anderer Arzt, der Dienst hatte, die mussten dann dorthin und mussten die Leichenschau vornehmen. Manche jungen Ärztinnen oder Ärzte, die haben sich gar nicht richtig getraut, das vorzunehmen. Dann mussten wir das machen. Normalerweise musst du den Toten vollkommen entkleiden.

I: Mussten die das dann alle vor Ort machen?

B: Vor Ort wird das gemacht. Und dann wird auch festgestellt, wie die Totenflecke liegen. Und der Arzt musst feststellen, ob er einen Totenschein ausfüllen kann. Dass er den Tod feststellen kann und um was es geht. Und wenn er gesagt hat „Ich bin mir nicht sicher. Also, ich kann keinen Totenschein ausfüllen.“, dann, der Kriminalist war ja meistens immer mit vor Ort und dann musste ja nun festgestellt werden, liegt ein Verbrechen vor oder nicht. Dann musste die MUK raus. Immer ein paar, vielleicht zwei oder einer, und dann wurde untersucht und wurde festgestellt. Dann kam die Toten eben erstmal in ein Totenhaus. Aschersleben hatte welche, wo sie Sektionen durchführen konnten. Oder eben in die Gerichtsmedizin nach Halle. Da war der Professor Simon, er war der führende Gerichtsmediziner. Und hat dann gab es noch vier oder fünf Mediziner, die das gemacht haben.

Naja, und wenn es Hinweise gab wurden die Ermittlungen aufgenommen Ob es nun gleich Mord war oder nicht, das stellte sich dann ja erst raus. Also Todschlag, oder Tötung im Affekt, oder irgendwas. Das musste ja dann rausgearbeitet werden.

I: Wie kann man sich das vorstellen, wie oft passierte sowas in der Woche, oder im Monat?

B: Wir waren für den ganzen Bezirk Halle verantwortlich. Und der Bezirk Halle war eigentlich auch ein sehr großer Bezirk. Und wir hatten eigentlich von der Tat, oder von den Tätern, oder vom Delikt her, hatten wir eigentlich sehr viele, gegenüber den anderen Bezirken. Wir waren bald führend mit den Tötungsdelikten. Das hat sich daraus ergeben, dass wir, naja, wir hatten viele Monteure in Leuna, in Merseburg. Albaner oder Jugoslawen.

Wir hatten einiges aufgeklärt, aber einiges ist nicht aufgeklärt worden. Zwei Studentinnen wurden umgebracht. Das ist nicht geklärt worden. Aber es deutete sich eben sowas an, dass solche Monteure die Hände im Spiel hatten. Aber wir sind nicht vorangekommen. In Wittenberg oben auch, da hatten wir die Jugoslawen. Die waren auch nicht ohne.

I: Also so in der Woche einmal, oder wie kann ich mir das vorstellen?

B: Das kann ich nicht sagen.

I: So pauschal nicht sagen?

B: Das kann ich überhaupt nicht sagen. Das war auch nicht so, wie heute, dass Mord und Totschlag an der Tagesordnung standen. So war das auch nicht. Und auch öfters mal in Halle und Neustadt waren Kindermissbrauch mit Mord. Mal zwei, drei Mal in bestimmten Abständen, wie mit dem Kreuzworträtselfall.

I: Ja genau, der Kreuzworträtsel-Mord.

B: Das war 1980. Das war ja ein sehr spektakulärer Ermittlungszug, war das damals.

I: Möchtest du dazu was erzählen?

B: Naja, kann ich, aber das war eigentlich sehr umfangreich. Sehr umfangreich.

I: Verbrechen wurden ja im Prinzip auch gar nicht in den Medien bekannt, oder?

B: Also Straftaten hatten wir fast gar nicht in den Medien, oder Tötungsdelikte, gab es überhaupt nicht. Das einzige was bekannt wurde zum Beispiel Zugunglücke. Wir mussten auch mit raus, wenn ein Unfall war. Zugunfall, das war das Schlimmste. Oder Verkehrsunfälle, wo die Toten nicht identifiziert werden mussten. Da war dann auch die Gerichtsmedizin mit. Und ja, wir waren dann auch mit. Mussten da auch mit. Wir haben damals, ich weiß noch, wann war denn das, 1967 glaube ich, oder ein bisschen früher, da war ich in Langenweddingen, wo der Zug, wo der Tankwagen in den Zugübergang reingefahren war. Da gab es 118 Tote. Und dann 40 Kinder dabei. Und alles verbrannt. Und da mussten wir mit ran. Aber das war im Bezirk Magdeburg. Da hatte eigentlich Magdeburg die Hand. Aber wir wurden mit ran gezogen.

I: Und das wurde öffentlich gemacht?

B: Das war alles öffentlich.

I: Und das andere wurde nicht öffentlich gemacht, um die Gesellschaft nicht zu beunruhigen?

B: Jaja. Es sollte eben nicht sein, dass wir solche schlimme Kriminalität, Kapitalverbrechen und irgendwas halt hatten. Das sollte eben nicht sein, im Sozialismus. Sollte eigentlich alles in Ordnung sein. Aber es war eben nie in Ordnung.

Die Strippe um den Hals

I: Gibt es einen Fall, der dir persönlich sehr nahegegangen ist?

B: Ja, einmal, das war, wann war denn das, 1979 glaube ich, du warst schon auf der Welt. Ja, 79. Da lebten wir schon in Halle und es war Heiligabend. Heiligabend war das. Da hatten wir einen Weihnachtsbaum, Geschenke und wir wollten gerade ein bisschen die Weihnachtsfeier anfangen. Und dann kriegte ich den Anruf – sie schicken jemanden, kommen vorbei, holen mich. Wir sind rausgefahren nach Winningen bei Hoym. Dort hatte ein Vater seinen Sohn, dreijähriger Sohn, glaube ich, noch nicht mal so groß wie du damals warst, hatte er im Schlafzimmer an der Tür am Haken aufgehängt. Und er hatte sich daneben auf gehangen, ist aber abgerissen und lag dann da, die Strippe um den Hals.

I: Hat der Vater überlebt?

B: Ja hat überlebt. Das war natürlich tragisch. Die Ursache war – die Frau, die hat ihn immer unter Druck gesetzt. Der Sohn war, das hat sich in den Ermittlungen hinterher ergeben, der war ein wenig geistig behindert. Und die Frau hat ihm das immer vorgehalten „Du hast den im Suff gemacht.“ und so, weißt Du? Und er konnte es nicht mehr aushalten und da hat er den Jungen umgebracht und wollte sich ja auch umbringen. Aber er lag dann nur im Bett und machte seltsame Geräusche. Tja. Siehst Du, da haben wir ihn mitgenommen, haben ihn eingesperrt. Den Sohn haben wir zur Sektion übergeben. Und dann bin ich wieder nach Hause gefahren, um Weihnachten zu feiern. Und da habe ich dich gesehen. …

I: Ja, das ist sicherlich nicht einfach. Habt ihr eigentlich psychologische Betreuung bekommen?

B: Nein, sowas gab es nicht.

I: Nein? Gar nicht?

B: Ach was. Nein, sowas gab es überhaupt nicht. Nein, nein, nein. Ja, heute ist das anders.

I: Aber wie hast Du das dann verarbeitet?

B: Naja, nicht mehr nachdenken. Da war ich ja schon in der Truppe mit drinnen und habe vieles gesehen und erlebt, und da bist du schon ein bisschen abgehärtet. Jetzt schaltest Du das mal ab.

I: Wieso?

Der Kuss

B: Ich möchte dir was Lustiges erzählen.

I: Okay.

B: Meine erste Tote, in Aschersleben, da war ich bei der Kripo, als ich gerade angefangen habe. Und da hatte sich die Tochter vom Museumsdirektor, sie war diplomiert, aus Liebeskummer umgebracht, mit Zyankali, also Blausäure. Und die lag oben in Aschersleben. Mein Kollege sagte zu mir, da hatte ich gerade angefangen, „Komm mit.“. Und der Staatsanwalt, der muss auch mit. Und die haben die Leichenschau vorgenommen. Sie haben dann auch die Sektion gemacht. Da war ich auch dabei. Wir mussten bei den Sektionen ja immer mit dabei sein. Nicht gemacht, sondern wir mussten dabei sein. Wir mussten sehen was los war. Und dann waren wir da oben. Die lag da und (Lachen). Sie haben sich alle beide über die Tote gebeugt und dann riecht es ja nach Mandelgeruch, Zyankali riecht wie Mandel.

I: Nach Mandeln?

B: Und mein Kollege sagt „Riech mal.“ Und dann bin ich so mit der Nase runter, zögerlich. Und das war der erste Tote überhaupt und dann drückt er mich runter „Jetzt küsst sie dich.“. (Lachen) Ich habe mich so erschrocken.

I: Hätte ich aber auch. (Lachen)

B: Jaja, so einen Quatsch gab es.

I: Und wann war das?

B: Das war so 1964. Da habe ich gerade angefangen.

Nichts mit der Erbschaft. Der lebt.

B: Einmal, das war so, vielleicht 1968, da hatte ich Dienst. Wir mussten ja auch am Sonnabend und Sonntag im Einsatz sein. Um 17 Uhr war Feierabend. Und wir mussten den Kriminaldienst übernehmen. Alles, was anfiel, musste bearbeitet werden. Du musstest die Kriminaltechnik machen, fotografieren, Fingerabdrücke nehmen usw.

I: Ah, das musstest du alles machen?

B: Alles mussten wir regeln. Bist ja ausgebildet worden darauf, nicht? Und kurz vor Schluss, da war der Kriminaltechniker aber auch noch da, gab es einen Anruf. Und das war nicht weit vom Revier. Da hat sich einer aufgehangen, ein älterer Mann. Am Fensterhaken, weißt Du? Saß auf dem Stuhl, mit einem Schlips. Und dann sind wir rein. Und draußen war so eine kleine Traube, wahrscheinlich die ganzen Verwandten. Und wir so rein und der hat Kriminaltechniker erstmal fotografiert. Wir mussten ja nun feststellen, liegt ein Verbrechen vor oder nicht. Und dann haben wir ihn genommen und haben ihn auf das Bett gelegt. Und er lag da und wir haben Aufnahmen gemacht. Und ich habe dann noch dies und das gemacht. Und ich gucke so, ich gucke den Toten so an und plötzlich macht er Geräusche.

I: Oh nein, er lebte noch?

B: Ich sage zu meinen Kollegen „Hans, du, der lebt noch.“. Dann haben wir schnell den Schlips abgemacht und der Mann kam zu sich. Und dann, der Hans, der war schon lange Kriminalist, schon lange, und er machte die Tür auf und sagt „Nichts mit der Erbschaft. Der lebt.“. (Lachen)

I: Aber war denn gar kein Arzt dabei?

B: Es war noch kein Arzt da. Der musste erst noch kommen, weißt Du? Und dann haben wir gleich gesagt „Kannst dableiben, der lebt noch.“.

Der Vati, der Vati

B: Einmal hatte ich Dienst, das war auch in Aschersleben, ich weiß nicht, wann das war. Was war denn der? Der hatte Kohlen verkauft und immer ausgefahren. Und ich sehe immer noch den Ofen, nein ein Gasherd hat er dagehabt. Eigentlich eine schöne Wohnung, groß. Und er hatte zwei kleine Kinder. Ich weiß gar nicht mehr, warum er sich umgebracht hat. Und der lag vor dem Herd. Er hat den Kopf in die Röhre reingesteckt und hat das Gas eingeatmet und dann ist er umgefallen, war tot. Eine Gasleiche. Da kam dann noch eine junge Ärztin, die hat gesagt „Können sie das nicht alles machen? Ich habe noch nie einen Toten gesehen.“ (Lachen) Ich gucke hin, keine Totenflecke. Es ist ja so, wenn der hinfällt und tot ist, so, wie der dort liegt, so bilden sich die ersten Totenflecken. Und wenn den wer hinterher umgedreht hat oder irgendwo anders hingetragen hat, bilden sich die Flecken anders.

I: Man erkennt also an den Totenflecken, ob das der Tatort ist?

B: Wenn der Fundort wo anders ist und der Tatort wo anders war, kannst du schon sagen, also durch die Totenflecke, erst ist hier und er ist nicht dort. Naja, jedenfalls der lag dort und ich bin dort hoch. Und als ich hinkam, die Frau war mit ihren Kindern da, hielten die Kinder den Mann an der Hand und schrien: „Der Vati, der Vati“ und haben ihn hin- und her gezogen. Aber der war tot. Alles hast du erlebt, weißt Du? War lustig, ein bisschen.

I: Ja eher sarkastisch.

B: Die Ermittlungstätigkeit, war schon schön. War gut. Habe es gerne gemacht.

Uroma und das Beil

I: Du hattest auch irgendwann mal erzählt, dass irgendwie bei der Oma im Haus in Hoym was passiert ist. Oder hatte ich das geträumt?

B: Naja, das hast Du wohl geträumt. Das ist schon lange her, das war glaube ich 1962. Ja, muss das gewesen sein, ja.

I: Wie alt warst du dann?

B: Ja, 1957 war ich 20.

I: Okay, also dann 25 Jahre. Und dann war Mutti 13 Jahre.

B: War sie vielleicht 13, ja. Da hat sie noch nicht da gewohnt. Da haben sie irgendwo anders gewohnt. Dort wohnten von ihrem Vater die Mutter und der Vater. Sie wohnten dort zusammen, aber waren im Prinzip nicht mehr zusammen. Also, die haben nur Krieg gehabt. Und er war ein herzensguter Mensch. Aber die Oma, das war ein Teufel, ein richtiger Drache. Und die hat den nur beklaut. Sie war unten im Keller und hat Kohlen geklaut von ihm. Und da ist der hinterhergeschlichen, hat so eine Wut gehabt, da hat er ein Hackebeil genommen und hat ihr, ich weiß nicht, zehn oder zwölf Mal auf den Kopf geschlagen, verstehst Du? Und die hat dann aus dem Kellerfenster, da unten „Hilfe“ rausgebrüllt, weißt Du? Und dann, ich weiß nicht, die ist dann noch alleine glaube ich hoch, aber war blutüberströmt und hat uns dann gerufen. Und ich bin dann da mit. Ich weiß gar nicht mehr mit wem ich da oben war. Ich sehe den immer noch am Waschbecken. Da hat er das Beil abgewaschen. Und da tat er mir so leid, dass wir ihn festnehmen mussten. Der Staatsanwalt hat ihm die geringste Strafe gegeben.

I: Aber sie hat überlebt?

B: Der ist im Strafvollzug-.

I: Nein, sie. Sie ist gestorben?

B: Die ist nicht gestorben.

B: Die hat doll überlebt. Die ist nachher noch in den Westen, zu der Tante Annemarie, weißt Du? Aber vorher war sie im Krankenhaus. Und er war im Knast.

I: Wie lange hat er dann bekommen, bei der geringsten Strafe?

B: Eineinhalb Jahre. Bei Mordversuch. Also, Mordversuch war es. War kein Mord. Hat ja nicht geplant.

I: Aus Affekt dann?

B: Es war Totschlag, war das. Versuchter Totschlag, so. Und die geringste Strafe hat er gekriegt. Er ist aber im Strafvollzug gestorben.

I: Und warum?

B: Naja, er war alt und hat es nicht verkraftet. Und dann ist später deine Mutter mit deiner Oma in das Haus reingezogen. Und immer, wenn ich später unten im Keller war, habe ich immer noch die Blutlachen gesehen. Wir hatten die Kohlen damals ein wenig umgeschüttet, um alles fotografieren zu können. Es war ja der Kriminaltechniker da. Und dann haben wir noch ihre Brille gefunden. Das sehe ich immer noch vor mir. Das wusste nachher auch die Oma, dass ich alles mit untersucht habe und mehr wusste. Deswegen war die so schrecklich zu mir.

I: Aber durftest ihr dann auch nichts erzählen, oder?

B: Habe ich nie. Nie darüber gesprochen.

I: Aber warum wolltest du zur Polizei und Kriminalist werden? Oder, was hat dich da so brennend interessiert daran? Was war die Motivation? Kannst du das formulieren?

B: (Lachen) Ich habe immer viel gelesen, als ich noch in die Schule gegangen bin. Dann war da unsere Nachbarin, die hatte so eine große Truhe. Und die Truhe war voll mit solchen kleinen Büchern. Die hießen Rolf Torrings Abenteuer. Solche kleinen Romane. Und der hat wunderbar geschrieben. Da war der Rolf Torring, Hans Warren und der Pongo, ein Neger. Und die haben die Welt erkundet. Und haben unterwegs auch kriminalistische Untersuchungen durchgeführt.

I: Es waren also Kriminalgeschichten?

B: Nein. Naja, so ein bisschen. Aber eher Abenteuergeschichten. Die habe ich immer gelesen. Bestimmt 200 solche Dinger waren da drinnen. Ich habe mir jetzt neulich, vor zwei Jahren war das, in Aschersleben Nachdrucke gekauft. Ich habe die noch da, die Bücher. Ich habe mir vier Stück gekauft. Wegen der Erinnerung, weißt du? Und dann aber auch solche großen Geschichten, zum Beispiel über Alaska und was nicht alles, das habe ich alles gelesen. So hat sich das eben bei mir festgesetzt.

I: Es gab auch keine Alternative? Also es war klar, Du wolltest das.

B: Nein. Naja, wollte, wollte, das konnte man auch nicht sagen. Aber das hat sich auch so nachher ergeben.

I: Ach so.

B: Ich bin 1951 aus der Schule gekommen. Und das war nach der achten Klasse. Mein Bruder in Berlin war ja im Ministerium, der hatte mir eine Lehrstelle besorgt. Ich hatte mich auch immer für Motoren interessiert, dann bin ich nach Sachsen, wo sie die Motorräder bauten, die MZ hießen die dann. Erst hießen die anders. Und das war aber für mich zu weit, weil ich ein totales Muttersöhnchen war. Ein richtiges Muttersöhnchen. Und dann hat er die nächste Lehrstelle organisiert, das war in Nordhausen, wo sie die Traktoren gebaut haben. Dort habe ich zwei Jahre Motorenschlosser gelernt und dort gearbeitet, Und dann sollte ich erstmal zwei Jahre zur KVP, kasernierte Volkspolizei. Die gab es damals noch nicht die Armee.