Ballenstedt, 27.07.2019

I: Mich würde interessieren: Gab es denn einen Fall, den ihr nicht lösen konntet oder mehrere Fälle?

Ungelöste Fälle

B: Ja.

I: Und was waren das für Fälle?

B: Da haben sie eine Studentin … Das war eine richtig böse Straftat, die haben sie schlimm zugerichtet und das konnten wir nicht klären. Wir haben vermutet, dass es Monteure oder ausländische Studenten von Merseburg waren. Wir haben auch in diese Richtung Vernehmungen und Befragungen gemacht, haben auch spezielle Mittel und Methoden eingesetzt. Und auch das MFS hatte da mitgewirkt. Wir mussten nach einen halben bis dreiviertel Jahr aber die Ermittlungen einstellen. Alles auf Eis gelegt, es hatten sich keine Verbindungen mehr ergeben, dass wir den Fall wieder aufnehmen konnten. Das wars.

I: Es gab auch keine Wiederholungstat?

B: Nein, da war nichts mehr. In Halle/Neustadt war ein anderer Fall, wo sie ein Kind, so acht oder sieben Jahre, ein Mädchen sexuell missbraucht und umgebracht haben. Sie haben das Mädchen in einen Plastiksack gesteckt und in einen Keller irgendwo in einem Neubaublock abgelegt.

I: Du sprichst in der Mehrzahl, waren das mehrere Täter?

B: Das wussten wir nicht, das konnten wir nicht sagen, aber jedenfalls hatte es den Anschein, denn die mussten ja den Sack rumschleppen. In dem Block in Halle/Neustadt haben ein paar tausende Menschen drin gewohnt. Und da gab es keine Hinweise und überhaupt nichts, auch in dem Umfeld dieser Kleinen oder der Familie und Verwandten und so weiter, gab es eigentlich keinen Hinweis. Das mussten wir auch einstellen. Aber der gleiche Fall war nochmal, wo du nach Merseburg rausfährst. In den kleinen Ort, der ist gleich neben Halle/Neustadt. Da hatten sie auch so ein kleines Mädchen sexuell missbraucht und vergraben.

I: Wie wurde die Leiche gefunden, wenn die vergraben war?

B: Das war irgendein Stück Land, wo eigentlich nicht gepflügt oder gegraben wurde. Aber irgendwelche Leute haben da rumgebuddelt und haben die Leiche gefunden. Das konnten wir auch nicht klären. Da wurden auch die Suchhunde und ach, was alles eingesetzt. Auch bei den anderen Straftaten wurden Suchhunde eingesetzt und trotzdem konnte nichts aufgeklärt werden.

Wir hatten 1968 einen Mord gehabt, und zwar in Nachterstedt, da wurde ein junges Mädchen gefunden, die war 17 Jahre. Im Gestrüpp, schlecht zugedeckt, wo die Straße nach Gatersleben ging, dahinter war der große Tagebau. Hier hatten wir sogar Hubschrauber zum Suchen eingesetzt. Die Gerichtsmedizin hatte dann festgestellt, dass das junge Mädchen erwürgt worden ist und anschließend sexuell missbraucht wurde. Also sie war schon tot und das war ein bisschen seltsam für uns, da wir in der Gegend ja auch die psychiatrischen Anstalten hatten.

Psychiatrische Anstalten

B: Also haben wir uns auf diese Linie festgelegt und dort angesetzt. Wir haben in Neinstedt mit dem Leiter gesprochen und dann auch in Hoym. In Hoym war es ja so, dass dort die Menschen hinkamen, wo keine Aussicht auf eine Heilung oder Besserung bestand. Da gab es die Stationen A, B und C. Die auf Station C waren eingesperrt. Die waren so schlimm dran, dass sie nicht mehr wussten, ob sie Mensch oder Tier waren. Den haben sie so ein Brett in die Hand gegeben, zwanzig mal dreißig oder so und Latten oder Bürsten oder irgendwas und da haben die den ganzen Tag Bewegungen mit den Gegenständen auf dem Brett gemacht. Oder haben ständig den Kopf hin und her geschmissen. Also die konnten auch nicht alleine essen. Die konnten gar nichts alleine. Also die wussten nicht, ob sie Mensch oder Tier sind.

Die Pfleger hatten da schon mal Probleme, dass einer auf sie losgegangen ist, zum Beispiel mit einem Messer, haben einen Pfleger auch verletzt. Also das war schon alles schlimm.

Und dann waren wir bei Gardelegen, da war es ganz schlimm. Zu uns hat der Leiter gesagt, kommt mal mit, ich zeige euch mal was. Und dann hat er uns eine Station gezeigt, da waren, ich weiß nicht, vier oder fünf Leute drin. Die waren alle ganz nackt und überall lag Mull rum und die krochen da drin rum. Da sagt der Leiter: Wie in einem Zoo.

I: Das klingt ja furchtbar.

B: Ich habe das Bild noch vor mir, konnte es gar nicht fassen. Und dann sagt der Leiter zu uns, wisst ihr was das für Personen sind? Das sind die Piloten von den Stuka-Fliegern.

Da die immer mit ihrem Flieger tief abgestürzt sind, um besser treffen zu können und das ständige Heulen der Sirenen, sind die durchgedreht und die haben da nun so hausiert, muss ich sagen. Nicht hausiert, ach vegetiert, aber wie.

Naja das mal nebenbei. Jedenfalls haben wir dann in der Richtung weiterermittelt. Und wie der Zufall es will, gab es eine Gruppe in Hoym auf Station A, die hatten immer welche ausgesucht die nicht so schlimm waren, und die Gruppe wurde von der LPG eingeteilt, um auf dem Acker mitzuarbeiten. Sie haben dort auch ihr Essen gekriegt. Es gab dann immer zweierlei Essen, eine richtige schöne gute Suppe und eine, die war eben dünn, wie sonst was. Ja es war schlimm, also wenn du das gesehen hast, hast du drüber gelächelt, aber es war bitter.

Und so eine Brigade war auch in Neinstedt, die waren aber fest ansässig, die haben dort geschlafen, waren unter Bewachung. Also nicht Bewachung, unter Kontrolle, waren immer zwei Pfleger mit und haben für die LPG gearbeitet. Die konnten aber auch mal ein Stück rausgehen.

Zirkus Sarasani und Klavierspieler

Aber eine kleine Episode noch zwischendurch. Von der Station A, waren auch welche dabei. Zum Beispiel war da der Wilhelm, kann mich gut an ihn erinnern. Der war von Zirkus Sarasani und er war als Clown auf einem Seil runtergefallen. Das war ein Unfall und danach war sein ganzes Gesicht zusammengedrückt. Er ist immer mit Eimer, Schippe und einem Besen rumgelaufen. Hat Pferdeäpfel gesammelt und dann hat er die zu den Leuten gebracht. Das war seine Aufgabe, der hat das sehr ernst genommen und den haben sie dann ein bisschen Geld gegeben. Dann ist er in die Blech Emmy, das war eine Kneipe, und dort hat er dann ein Glas Bier dafür gekriegt.

Ich meine bloß mal, das war tragisch und lustig. Ach so, nochmal was Lustiges. In Aschersleben gab es die CC Bar, das war eine schöne Bar. Am Nachmittag haben sie auch immer ein bisschen Klaviermusik gespielt und einer mal gesungen zum Kaffee oder irgend sowas. Und eine Frau, die konnte wunderbar singen und ein Mann, der hat wunderbar Klavier gespielt. Und die haben immer am Nachmittag Musik gemacht. Aber der Geschäftsführer wusste gar nicht, wo sie herkamen. Ich weiß nicht, wie das zu Tage kam, ich weiß bloß, dass der Direktor der Anstalt von Hoym, sie erkannt hat und dann hat er sie weggefangen. Die beiden hatten sehr guten Zuspruch, aber dann durften sie nicht mehr spielen.

I: Aber ist ja schade, dass sie nicht auftreten konnten, wenn sie gut waren.

B: Nein, das ging nicht. Das ging einfach nicht mehr. Naja, so ein Blödsinn war das.

Eine Frau ist entkommen

B: Ein Abschnittsbevollmächtigter, von der Volkspolizei kam zu uns und sagte: Mir ist da etwas aufgefallen, könnt ihr das verwerten? Bei uns ist eine Frau an mich herangetreten und hat gesagt, dass sie unterwegs von Hoym nach Neinstedt vom Fahrrad gezogen wurden ist. Jemand wollte sie vergewaltigen. Sie hat aber ihren Schuh genommen, Eisenplättchen unter den Absätzen, und hat den dem Mann auf den Kopf geschlagen und der ist abgerückt vor Angst. Naja, und dann haben wir recherchiert und unsere Ermittlungen gemacht. Es hat sich dann rausgestellt, dass das einer von dieser Truppe war. Es hat natürlich nicht lange gedauert, dann hat er alles gestanden. Das er das Mädchen erwürgt hat und dann hat er sie sexuell missbraucht. Und auf die Frage, warum er sie erst umgebracht hat, hat er gesagt, dass er nicht wieder mit den Schuh auf den Kopf geschlagen werden wollte, deswegen hat er sie erst erwürgt.

I: Das war dann danach, in der Zeitabfolge?

B: Ja, die Frau wurde vorher angegriffen. Solche Sachen haben wir auch erlebt. Und das war eben ein sehr ordentlicher, guter Erfolg. So jetzt Schluss, jetzt sage ich nichts mehr.

I: Gab es viele Täter aus diesen Anstalten?

B: Nein, nein. Also Täter gab es da, aber die kamen ja nicht raus. Es gab eben keine Heilung mehr für sie und so war das. In Hoym existierte die Anstalt ja schon zur Nazizeit. Die alten Pfleger hatten erzählt, dass immer ein grüner Bus kam, von Aschersleben oder von irgendwo. Und dann haben sie gesagt, sie machen eine schöne Tour und dann sind sie rein. Und unterwegs haben sie den Gashahn aufgedreht und haben sie vergast.

Und das hat sich natürlich rumgesprochen und wenn der grüne Bus kam, dann haben sich die Insassen der Anstalt alle versteckt und verkrümelt. So schlimm war das eben auch.

B: Schluss jetzt, will nicht mehr drüber reden.

Ich als Polizistin?

I: Erinnerst du dich, dass du wolltest, dass ich zur Polizei gehe?

B: Na ich habe dich gefragt, ob du auch Polizistin werden möchtest. Ob du Interesse hattest, damals, wo du gerade dein Abitur gemacht hattest. Du hast ja eine Bewerbung geschrieben, ich weiß nicht, hattest du nicht auch ein Bewerbungsgespräch?

I: Nein. Ich glaube meine Augen waren zu schlecht. Deswegen wurde ich gar nicht eingeladen.

B: Ach die Augen waren da wohl nicht in Ordnung, ja. Aber du warst zum Gespräch da.

I: Nein, ich war nicht zum Gespräch. Sagen wir mal so, ich kann mich nicht erinnern, deswegen frage ich ja.

B: Nein, du warst beim Gespräch.

I: Ich war beim Gespräch?

B: Ja und dann haben sie wegen deinen Augen gesagt, dass da keine Chancen bestehen.

I: Also das heißt, du hattest mich angemeldet?

B: Ich weiß es auch nicht mehr, aber es kann schon sein, dass es so war. Das war 1995, oder?

I: Das stimmt, 1995 habe ich mein Abi gemacht.

B: Hm, ja wegen deinen Augen hat das nicht geklappt.

Hausdurchsuchung

I: Und noch eine Erinnerung kann ich nicht einordnen. Wir hatten ja mal eine Hausdurchsuchung, oder? Das war kurz nach der Wende oder so?

B: Ja.

I: Warum denn eigentlich?

B: Naja die haben gesagt, ich hätte irgendwie nicht richtig behandelt und was nicht alles.

I: Wer?

B: Straftäter von der DDR, so einfache Straftäter, ich kannte die gar nicht. Das war so eine Intrige. Das hat sich leicht zerschlagen. Das war gar nichts, war überhaupt nichts.

I: Warst du noch im Dienst?

B: Ja. Bis 1990, nach der Währungsunion. Sie hätten mich eigentlich noch gerne weiter beschäftigt, aber da ich 53 Jahre war, hätte ich also keine Chance noch Beamter zu werden. Denn Beamter konntest du nur bis 50 Jahre werden.

I: Ja, ist ja heute immer noch so, glaube ich.

B: Deswegen sind viele von uns in den Vorruhestand gegangen, mussten in den Vorruhestand gehen. Die meisten, die unter 50 Jahre waren, haben sie eigentlich übernommen. Und mich haben sie dann nach Magdeburg zum Innenministerium gesteckt. Und dort hatte ich erstmal die Ausländer, Kontingentflüchtlinge unter meiner Regie, die Juden alle. Wie viele waren das denn das? Tausendachthundert bestimmt.  Also ich hatte fünf große Heime oder Lager hatten wir ja gesagt, unter meiner Regie. In Klostermannsfeld hatten wir zum Beispiel eins eingerichtet.

Die Lager für Weißrussen

I: Daran kann ich mich noch erinnern, an das Heim in Klostermannsfeld. Aber das ging dann automatisch, dass du von der Polizei zum Innenministerium gekommen bist?

B: Ja, die Polizei gehört ja zum Innenministerium. Und als das mit den Juden aufgehört hat, da haben sie mich nach Hettstedt vermittelt und dort habe ich die Ausländerbehörde übernommen. Ich habe die ganze Ausländerbehörde aufgebaut. Ich hatte an die fünfhundert Aussiedler und hundertfünfzig Asylbewerber.

I: Hast du die Zeit bei der Polizei nicht vermisst?

B: Nein, ich wollte das nicht mehr.

I: Warum?

B: Mich hat das nicht mehr interessiert. Das war nicht mehr meine Sache, nein. Bei uns war das alles anders organisiert, dass hatte sich ja dann geändert.

Man wollte mich auch für andere zentrale Aufnahmestellen wie in Dessau oder Halberstadt. Aber da habe ich gleich die Hände über den Kopf zusammengeschlagen, dass wollte ich nicht.

I: Zu chaotisch?

B: Ja, das hat dann ein anderer Kriminalist übernommen, der hat das noch nicht mal 1 1/2Jahre geschafft, hat einen Nervenzusammenbruch bekommen. Ich hatte ja schon Heime in Gernode, in Helbra, in Klostermannsfeld, in Bad Schmiedeberg an dem See dort und dann in Zeitz unten, überall hatte ich solche großen Lager. Klostermannsfeld war die zentrale Aufnahmestelle, das ging dann über den Zentralrat der Juden in Berlin. Die haben mich angerufen und haben gefragt: Herr Müller haben Sie noch was frei? Und wenn ja, kamen wieder einige Familien, die wurden erstmal registriert und festgestellt, ob es Juden sind oder nicht. Sie waren vorwiegend aus der Ukraine. Bei dem ersten Schwung waren achtzehn Ärzte dabei gewesen und noch einige Krankenschwestern, auch Ingenieure und so weiter.

I: Mussten alle zur Sprachschule gehen?

B: Ja. Das waren ja alle Kontingentflüchtlinge. Wir hatten in Klostermannsfeld, in Eisleben und Leipzig Sprachkurse. Nach Leipzig habe ich die ganzen Ingenieure geschickt, an die pädagogische Hochschule, dort wo du die Wohnung mal hattest, ein Stückchen weiter runter. Da ist die pädagogische Hochschule gewesen.

I: Ja das gehört heute zur Universität Leipzig.

I: Wie kam das eigentlich, dass zu der Zeit so viele Aussiedler kamen?

B: Aussiedler kamen in die Bundesrepublik schon immer, aber die Aussiedler wurden von der Sowjetunion nicht raugelassen. Dann kam die Wende und alle die vorher nicht raus durften konnten nun einen Antrag stellen und aus Russland ausreisen. Ich glaube jedes Jahr kamen zweihunderttausend in die Bundesrepublik.

I: Wie lange warst du bei der Ausländerbehörde?

B: Bis 1997. Wo ich 60 Jahre wurde, bin ich in Rente gegangen. Aber ich hatte dann noch immer viele Aussiedler, das habe ich alles aufgebaut. Wir haben kein staatliches Heim gemacht, war fast alles privat.

I: War das eigentlich gängig, dass das privat war damals?

B: Ja im Westen war das immer so. In Göttingen haben sie mich mal eingeladen von der Regierung aus, da konnte ich mir das angucken. Jetzt ist aber Schluss.

Gebrauch Schusswaffe

I: Ich habe aber noch Fragen, zum Beispiel. Musstest du einmal von deiner Schusswaffe ernsthaft Gebrauch machen?

B: Ja.

I: Und wann, war das?

B: Da möchte ich gar nicht drüber reden.

I: Erzähl doch bitte.

B: Naja, das war vielleicht 1970. Da war ich noch in Aschersleben. Es geht um einen Mann, der war schon immer ein Verbrecher. Er hat immer Blödsinn gemacht, Betrug und ach was nicht alles. Jedenfalls war er zur Fahndung ausgeschrieben. Wir haben ihn gesucht, haben ihn aber nicht gekriegt. Er war vielleicht so über 30 Jahre alt. Er hatte eine Freundin in Aschersleben, die hat er immer ab und zu mal besucht. Die Freundin hatte eine Tochter, die war so um die 16 Jahre alt und mit der hat er dann auch was angebändelt, Tochter und Mutter, weißt du.

I: Aber beide wussten wahrscheinlich nichts davon, oder?

B: Die Mutter hat das rausgekriegt und war sehr böse auf den und wollte ihm das heimzahlen. Die Tochter und er wollten sich, das war Sonntag nachmittags, so um 14:00 Uhr, hier in Ballenstedt treffen und sich einen lustigen Tag machen. Und jedenfalls hat die Mutter das am Vormittag der Polizei erzählt. Ach, Sonntagvormittag und ich hatte Kriminaldienst, ich hatte einen Trabant, einen Diensttrabant. Jedenfalls habe ich in Halle angerufen, um noch Verstärkung zu bekommen. Ich habe zwei Leute bekommen, der eine hatte privat einen zwölfhunderter Lada. Wir haben dann erstmal eine Strategie festgelegt. Ein Auto unten und ein Auto oben bei der Straße. Verbunden waren wir durch Funkgeräte, damals waren die noch riesengroß.

Wir waren eine halbe Stunde vorher da. Das schlimmste war, wir hatten keine Verbindung gehabt, die haben immer mich gehört, aber ich nicht sie. Und in der Zeit wo wir da ständig rumprobiert haben und die Funkgeräte nur seltsame Geräusche gemacht haben, ist der Mann unten mit seinem Auto rumgebogen, aber die Tochter, die muss was mitgekriegt haben an der Falle. Und die Tochter stand da, hat dem einen Winker gegeben und da ist der durchgerauscht, an uns vorbei. Ich im Trabant und der hatte einen Wartburg Camping, ein richtig flottes Auto.

I: Da hattet ihr dann keine Chance?

B: Und jedenfalls sind wir hier die Allee hoch und da runter und dann Richtung Güntersberge die Kurven hoch. Und hinter uns kam mit einmal der Wartburg vom Amtsleiter, der hat aber nicht angehalten und einen von uns mit reingenommen, der ist alleine hinter den hinterher. Mit einmal hat das immer so geblitzt und geknallt. Und da hat er Angst gekriegt und hat auch seine Pistole rausgeholt und immer zurückgeschossen. Da haben die sich beballert. Aber er ist nicht hinterhergekommen. Und mit einem Mal war der Verbrecher weg. Da ist der Amtsleiter umgekehrt und wir haben die Aktion eingestellt. Es lief dann eine Großfahndung nach ihn. Es wurden überall Straßensperren gemacht, da haben sie ihn erwischt. Und wir haben ihn später vernommen. Wir haben rausgekriegt, dass er zwei Pistolen, eine P38 und eine belgische FN hatte. Die lagen neben ihm auf dem Sitz. Und er sagte: Wenn ihr mich angehalten hättet, hätte ich euch umgelegt. Das hätte der auch gemacht, glaube ich schon.

I: Dann hattet ihr ja sozusagen Glück.

B: Ja, wir hätten doch nicht gleich eine Waffe gezogen, wenn wir ihn angehalten hätten. Wir wären auf den zugegangen und der hätte uns einfach umgelegt.

I: Eigentlich gut, dass er durchgefahren ist.

B: Das war Glück.

I: Ist das wirklich nicht so gewesen, dass ihr automatisch die Waffe nehmen musstet?

B: Nein, überhaupt nicht. Das war Quatsch.

I: Und diese Schutzwesten und sowas, hattet ihr auch alles nicht?

B: Sowas hatten wir doch gar nicht gehabt. Waffendelikte haben wir doch kaum gehabt. Nur mal, wenn einer zur Jagd sich illegal ein Jagdgewehr besorgt hat oder sowas.

I: Haben Waffen gar nicht existiert oder ist man nicht rangekommen?

B: Haben schon existiert, aber ganz, ganz wenig. Also Waffendelikte haben wir kaum gehabt. Einmal, das war so 1968, ist einer aus dem Gefängnis Raßnitz ausgerissen. Der hatte eine Freundin und mir ihr haben wir besprochen, dass wir in Schichten, je zwei Mann, in ihrer  Wohnung auf ihn warten werden. Also von früh 6.00 Uhr bis abends 18.00 Uhr und von 18.00 Uhr bis früh 6.00 Uhr. Ich war dort mit einem Kollegen, der war schon etwas älter, der hatte den Krieg mitgemacht. Wir haben zusammen eine Schicht gehabt. Und in der Nacht, ich weiß nicht, wie spät es war, hat es auf einmal am Fenster geklopft. Wir haben zur Freundin gesagt, wenn sie jetzt uns verrät, sperren wir sie ein. Wir haben ihr ein bisschen Angst gemacht. Und dann ist sie zum Fenster und hat ihm aufgemacht und er ist reingesprungen. Großer Kerl, so ein Bursche, so groß. Wir haben dann sofort Hände hoch gesagt und ihn an die Wand gedrückt. Und ich bin an ihn ran und wollte untersuchen ob er eine Waffe oder ein Messer hat. Da hat er mich beiseitegestoßen und ist aus dem Fenster gesprungen. Damals war ich ja noch sportlich und ich bin dann gleich hinterher. Der ist nicht zum Bahnhof, sondern die Straße runter gerannt. Ich weiß noch, ich war vielleicht zwanzig, fünfzehn, zwanzig Meter hinter ihm her, habe nach ihm gerufen. Stehen bleiben oder ich schieße. Und dann habe ich einmal in die Luft geschossen, wumms und dann auf die Beine gezielt, geschossen. Und da machte der einen Satz, das kann man sich gar nicht vorstellen, von mindestens drei, vier Meter, nach vorne. Ich habe ihm einen glatten Durchschuss an der Lende verpasst, hatte Glück. Ich war froh, dass es ein glatter Durchschuss war.  Der war in 14 Tagen wieder geheilt. So haben wir ihn geschnappt. Das war das einzige Mal, dass ich in so einer Situation war. So mehr nicht.

I: Ja, aber wie war das für dich auf jemanden zu schießen?

B: Ich war aufgeregt bis zum geht nicht mehr. Naja, so ein Theater wie sie es jetzt machen, gab es ja nicht. Wir haben ein Protokoll geschrieben, das hat der Amtsleiter genommen und dann dem Staatsanwalt übergeben und das war es.

Lebenskünstler

I: Noch eine andere Frage: Was denkst du über meine Kunst?

B: Ich kann dazu überhaupt nichts sagen, weil ich gar nicht weiß, was du richtig machst. Du machst Fotografien, die ich teilweise verstehe, teilweise nicht. Auch deiner Mutter geht es so. Und für mich ist das eben sehr problematisch, dass du ein Lebenskünstler bist.

I: Das ich was bin?

B: Ja, so ein Lebenskünstler. Mal habt ihr was, mal habt ihr nichts. Ist doch so. Und das ist sehr, sehr schwierig. Das sagt dir jeder, der was über die Kunst weiß, dass es eben sehr, sehr schwierig ist. Um berühmt zu werden, muss man erst lange tot sein, ja?

I: Ich hoffe nicht.

Meine Arbeiten thematisieren ja sehr oft das Verbrechen und ich bin auf ständiger Spurensuche. Du weißt, ich habe ja zum Beispiel die Asservatenkammern bei den Staatsanwaltschaften dokumentiert. Ich Interesse mich ja gewissermaßen für dein Thema.

B: Ich weiß nicht, ob das überhaupt bei den Leuten ankommt. Das ist ja die andere Frage.

I: Für mich war es jetzt vorrangig eine inhaltliche Frage, da ich ja sehr nah an deinem Berufsfeld arbeite, aber eben als Künstlerin.

B: Naja, was soll ich dazu sagen. In meinem Berufsfeld war es die Realität.